Frau Anton wartete jedes Jahr sehnsüchtig auf ihren Sommerurlaub. Sie hatte Glück: die Firma, für welche sie schon Jahrzehnte arbeitete und eine zuverlässige Mitarbeiterin war, gönnte ihr stets einen 3wöchigen Urlaub am Stück. „Das ist nicht selbstverständlich!“ sagte sie zu sich und schmiedete Pläne. Sie fuhr gerne in den Süden ans Meer. Einmal war sie in Kroatien, ein anderes Mal in der Türkei und in Griechenland. Diesmal ging es nach Teneriffa. Der Sommerurlaub bedeutete für Frau Anton einfach „alles“: Erholung von den Strapazen eines ganzen Arbeitsjahres, Sonne tanken, in das Nachtleben eintauchen und vielleicht ein bisschen „über die Strenge schlagen“ und noch Mal Erholung. Wenn man es genau nimmt, Erholung war das wichtigste Argument für den Sommerurlaub. Deshalb investierte sie dafür nicht gerade wenig Geld.
Und doch kehrte sie jedes Jahr zurück und war entweder gar nicht erholt oder die Erholung ließ schnell nach. Es war doch alles stressig: am Flughafen, die ewigen Schlangen und das Gedrängel, im Hotel an der Promenade die Lautstärke der anderen Lokalitäten und Gäste, die ungemütlichen weichen Betten im Hotelzimmer, das doch nicht so bekömmliche Essen. Sie konnte ein ganzes Buch davon schreiben. Aber wieso beschwerte sie sich? Und trotzdem plante sie gleich fürs nächste Jahr den nächsten Urlaub, kaum dass sie zurück in ihrem Zuhause war, damit sie noch gute Angebote erwischt.
"Das ist doch hirnrissig", stellte Frau Anton eines Tages fest. "Den nächsten Sommer verbringe ich komplett zu Hause", sagte sie sich. Und so kam irgendwann dieser Sommer und Frau Anton musste feststellen, dass alle ihre Nachbarn und Freunde in dem Urlaub fuhren, bloß sie nicht. Es gab hochgezogene Augenbrauen und Unverständnis für sie; manche guckten sie mitleidig, in der Vermutung, dass sie in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Doch Frau Anton blieb bei ihrer Entscheidung. Sie zog ihren Plan durch: sie fuhr bei gutem Wetter fast täglich zum nahgelegenen See. Und zu Hause beschäftigte sie sich mit Kochen, was ihre Leidenschaft war und bislang aus Zeitmangel immer zu kurz kam. Sie probierte sich in leichten, sommerlichen Rezepten mit viel Gemüse und leckeren Kräutern aus dem Bioladern aus. Sie schlief viel und tankte Energie.
Als ihre 3wöchige Urlaubszeit beendet war und der Sommer ebenfalls definitiv zu Ende war, als die Tage kühler und kürzer wurden, beschlich sie eine Sehnsucht, in den Urlaub fahren zu wollen. Mit ihrem vom Urlaub gesparten Geld plante sie 3 Wochenendtrips, nicht allzu weit weg von in ihrer Heimat, „Ja, das hat auch was!“ stellte sie zufrieden fest und fühlte sich anschließend langfanhaltender erholt als je zuvor.
*Es handelt sich um fiktive Geschichten von fiktiven Personen. Alle Personen, die in der Geschichte vorkommen, sind frei erfunden.
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